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News / "Aus sex sells ist fear sells geworden:" Steingart ermahnt die Angstverkäufer in den Newsrooms
Gabor Steingart auf dem EPC25 (APA-Fotoservice, Ludwig Schedl)
26.06.2025   Aktuelles
"Aus sex sells ist fear sells geworden:" Steingart ermahnt die Angstverkäufer in den Newsrooms
Der Kapitän der beiden Media Pioneer-Schiffewarnt in seiner Abschlussrede auf dem European Publishing Congress in Wien vor zu viel Digital im Journalismus, dem die Körperlichkeit abhanden komme. User und Follower sind für Steingart dirty words. Was Steingart noch mehr stinkt.
Die komplette Rede von Gabor Steingart auf dem European Publishing Congress 2025 können Sie als Podcast bei Spotify hören.
 
Auch wenn die Weltlage sich von Tag zu Tag zu verdüstern scheint, lässt sich der frühere "Spiegel"-Journalist und ehemalige "Handelsblatt"-Geschäftsführer, der seit 2018 selbst Medienunternehmer ist, sein Selbstbewusstsein nicht eintrüben. "Der Weltuntergang fällt aus", sagte Gabor Steingart gleich zu Beginn seiner abendlichen Keynote auf dem Wiener Kongress und fügte an - "auch in unserem Mediengewerbe". 
 
Rückenwind gibt ihm, dass die Form von Journalismus, die er auf den Medienschiffen praktiziert und die auf das Geschäftsmodell Mitgliedschaft setzt, nach eigenem Bekunden seit 2023 lukrativ ist. "Wir haben vielleicht die besten Tage noch vor uns, wenn wir ein paar Dinge richtig machen", so Steingart.
Dazu zählt für ihn vor allem der partizipative Charakter des Pioneer-Journalismus - unter anderem mit Live-Events auf den Schiffen, auf Podcast-Tourneen vor Ort und in zunehmend größeren Hallen. Es sei ein Journalismus "zum Anfassen", so Steingart, und das mitten in der Stadt. "Der eigentliche Zweck ist es, Teilhabe zu organisieren."
 
Wer als Verlag an den Stadtrand zieht – aus Kostengründen, wie das unter anderem einst die "Süddeutsche Zeitung" machte –, riskiere einen großen Fehler. "Zeitung ist mittendrin oder gar nicht", sagte Steingart.
Steingart warnt vor Überdigitalisierung im Journalismus 
Und dann darf's fast ein wenig kuschelig werden: Man setze bei Media Pioneer darauf, eine körperliche Beziehung aufzubauen. "Wir buchen das Bahnticket digital, aber dann fahren wir mit der Bahn, mit einem Stück Stahl. Wir fliegen auch mit einem echten Flugzeug." Steingart meinte damit auch eine Rückkehr zur körperlichen Begegnung mit dem Publikum. Also, nahbares Arbeiten – vor aller Augen. "Wir möchten mit echten Menschen in echten Umgebungen kommunizieren." Und: "Wir versuchen, Menschen zu aktivieren – für die Demokratie und den Journalismus."
Der Medienmacher warnt vor allzu stark ausgeprägter Technik-Fixierung. "Digitalisierung ist das Mittel zum Zweck, aber nicht Selbstzweck", so Gabor Steingart. Und auch zur heiteren Ausgeruhtheit rät er. "Der Spaßfaktor beim Journalismus ist in den letzten Jahren abhanden gekommen. Das liegt an der Nachrichtenlage - aber nicht nur." 
"Viele sind in den Newsrooms zu Angstverkäufern geworden"
Was Gabor Steingart hart kritisiert, ist die Trigger-Points-Fixierung der Branche, die auf schnelle Clicks setzt. "Viele Verlage sind dabei falsch abgebogen", sagte er in Wien. Manche Verlage beschäftigten in den Newsrooms Menschen, die gar keinen Primärkontakt mehr mit Informanten und mit Wirklichkeit hätten. Vielmehr seien sie Experten im A-und-B-Testing, in der Google-Optimierung und im Setzen von Trigger Points: Aus sex sells sei fear sells geworden. Es werde Angst verkauft. Viele seien in den Newsrooms zu Angstverkäufern geworden.
 
"Das Setzen von Trigger Points und das Anbeten der Social Media Tools ist verführerisch, weil es scheinbar dem Geschäft dient, aber damit verrät der Journalismus seinen Daseinszweck", meint Steingart. "Er macht dann, und da schleicht sich in den Worten die Verachtung von Lesern und Hörern ein, aus gleichberechtigten Menschen werden auf einmal User. Ein unfassbar hässliches Wort bei Pioneer verboten." Auch Follower sei eines dieser dirty words. "Wir leben nicht im Führerstaat, liebe Freunde", wird Steingart auf der EC-Bühne laut. Was seien überhaupt Follower? Es seien vielmehr gleichberechtigte Menschen, die teilhaben wollen am Diskurs und die Information, die wir oder andere liefern, diskutieren und austauschen wollen. Wahrheit gebe es nur unter zweien. 
 
Am Geschäftsmodell bei Media Pioneer soll sich nichts ändern. Stolz berichtete der Selfmade-Unternehmer, dass zuletzt 100 sogenannte "Lifetime"-Memberships, für die Steingart immerhin jeweils 5000 Euro verlangt, angeblich innerhalb von nur 12 Stunden verkauft wurden. "Wir verzichten auf Werbung und fahren gut damit", so der Gründer. "Leser mögen in Wahrheit Werbung nicht - schon gar nicht bei Podcasts."
Die wichtigsten Reden vom European Publishing Congress als Podcast 
Der European Publishing Congress ist ein Branchentreffen für Führungskräfte aus den Bereichen Redaktion, Digital, Design und Management. Er wird vom Medienverlag Oberauer veranstaltet, zu dem auch kress.de gehört. 
Die wichtigsten Reden vom EPC25 können Sie bei Spotify als Podcast nachhören. Bitte hier entlang.
 
(Autor: Rupert Sommer)
 
 
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