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News / Hanno Beck warnt vor Herdenvirus
Hanno Beck (Foto: PF bits)
26.02.2025   Aktuelles
Hanno Beck warnt vor Herdenvirus
Der VWL-Professor und ehemalige Wirtschaftsjournalist fragt, warum Medien bisweilen immer die gleichen Geschichten erzählen und wie Herdentrieb im Journalismus funktioniert. Eine Analyse inklusive simplem Gegenrezept.
"Die Attacke ereignet sich an einem Samstagvormittag und traumatisiert Holly und ihr Frauchen: Als Doris Schröder-Köpf mit ihrer Tochter und dem Border-Terrier Holly in Hannovers Südstadt einkaufen geht, schießt ein Hund – die Medien werden ihn später als Kampfhund klassifizieren – über die Straße und attackiert die arme Holly. Holly hat Glück, sie wird gerettet, aber Besitzerin und Tochter bleiben traumatisiert zurück.
 
Der Fall erregt Aufsehen: n-tv, Hannoversche Allgemeine, Welt, Bild – sie alle informieren den politisch engagierten Bürger, inklusive O-Tönen und Bildern des Opfers. Nun fühlen wir alle mit Holly und ihrem Frauchen – aber schießt da die Berichterstattung nicht ein wenig übers Ziel hinaus? Haben wir es hier mit einem Fall medialer Überaufmerksamkeit zu tun?
 
Kampfhunde, KI, Kryptowährungen, Zölle – als Medienkonsument ermüdet man rasch, sind es doch immer wieder die gleichen publizistischen Borstentiere, die so lange durch die mediale Arena getrieben werden, bis die Attacke auf den Hund der Gattin des Ex-Kanzlers zur Nachricht mutiert. So funktioniert Herdentrieb in den Medien: Themen kommen in Mode, werden aufgeblasen und solange durchgenudelt, bis auch der letzte Leser glaubt, dass Deutschland von einer Kampfhund-Phalanx heimgesucht wird, wenn er dem Dackel des Nachbarn über den Weg läuft.
 
Dabei scheint diese Schlagwort-Berichterstattung einem stets gleichen Verlaufsmuster zu folgen: Rasanter Anstieg der Berichterstattung, mediale Aufregung, tägliche ergänzende Berichterstattung inclusive Übertreibungen, gefolgt von Kritik an den Medien für diese Übertreibungen und einem mehr oder minder jähen Absturz auf die hinteren Ränge in der Berichterstattung vom Aufmacher zur Kurznotiz. Schaut man sich diesen medialen Themenzyklus näher an, sieht man Gemeinsamkeiten zu Börsenhysterien: Aufschwung, Euphorie, Übertreibung, Absturz. Eine Herde von Journalisten rennt – ähnlich wie hysterische Börsenjongleure – gleichgeschaltet in eine Richtung. Wer mediales Herdenverhalten verstehen will, tut gut daran, sich anzuschauen, wie Herdentriebe funktioniert. Was macht die Herde zur Herde, und wie rational oder irrational ist Herdenverhalten?
(...)


Ein einfaches Rezept
Stimmt diese Idee, dann sollten Journalisten sich so oft und viel wie möglich dort aufhalten, wo keine Journalisten sind und Medien eine untergeordnete Rolle spielen. Je weniger man im eigenen informationellen Branchensaft köchelt, umso mehr immunisiert man sich gegen das Herdenvirus. Dann entsteht eine unabhängige Berichterstattung, die mehr auf den Leser als auf die Kollegen achtet. In der Journalistensprache nennt man das „raus gehen“ – auch heute eine Primärtugend für jeden Journalisten."


Die gesamte Medienkritik von Hanno Beck lesen Sie in der Printausgabe "Wirtschaftsjournalist:in".
 
 
 
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