Im ersten Teil der Serie „Wirtschaftsjournalismus im Regionalen“ haben wir uns angesehen, wie Du als Lokaljournalist spannende Wirtschaftstexte schreibst, die auch überregional Aufmerksamkeit erfahren. Die Kunst liegt darin, Deine Leserschaft mit überraschenden und durchaus kontroversen Thesen an wirtschaftliche Themen heranzuführen. Im zweiten Teil nun 4 Tipps, wie es Dir gelingt, spannende Themen zu setzen und wirtschaftliche Trends früh zu erkennen.
Tipp 4: Sei schon vorher darüber informiert, was demnächst Thema sein wirdDas ist natürlich der Traum eines jeden Journalisten: Heute schon zu wissen, welches Thema morgen die öffentliche Debatte bestimmt. Im Wirtschaftsjournalismus lässt sich dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussagen. Warum? Weil wirtschaftliche Entwicklungen häufig datengetrieben sind und es für die Veröffentlichung von Daten Termine gibt. Die gängigen Wirtschaftsportale (wie zum Beispiel „finanzen.net“ oder „wallstreet-online.de“) bieten eine Übersicht über die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Tage, Wochen und Monate: Zinsentscheide, Konjunkturprognosen, Inflationsdaten, Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, Reden von Notenbankern und so weiter. Häufig lässt sich anhand dieser Termine ablesen, was demnächst heiß diskutiert werden wird.
Ähnlich wichtig ist es, Kontakte zu jenen Organisationen zu halten, die selbst wirtschaftliche Analysen oder Prognosen erstellen. Neben staatlichen Einrichtungen gehören dazu unter anderem die großen deutschen Wirtschaftsinstitute, Branchenverbände, Gewerkschaften, Banken und Sparkassen, Analyse- und Beratungsunternehmen (wie Prognos oder Mercer), Stiftungen (wie Bertelsmann) oder internationale Organisationen (wie die OECD). Diese Organisationen veröffentlichen regelmäßig Studien, wissenschaftliche Aufsätze, Datenauswertungen oder andere Einschätzungen zu praktisch jedem beliebigen wirtschaftlichen Thema. Wenn Du früh weißt, wann diese Studien erscheinen und welche Stoßrichtung sie haben, dann hast Du einen Vorsprung, um dazu etwas Spannendes vorzubereiten. Häufig kannst Du die Studien vorab lesen oder im Vorfeld schon einmal Interviewtermine vereinbaren.
Tipp 5: Folge Analysten in den sozialen MedienUnter Börsianern heißt es häufig: „Wenn die Medien darüber schreiben, ist es kein Thema mehr“. In der Tat hinkt der Journalismus den Entwicklungen häufig hinterher. Das liegt vor allem daran, dass es zur Aufgabe von Wirtschaftsjournalisten gehört, komplexe wirtschaftliche Prozesse herunterzubrechen und einzuordnen. Zu diesem Zweck befragen wir Wirtschaftsinstitute, Verbände oder Firmenchefs, die uns dann erklären, warum die Dinge so passiert sind, wie sie passiert sind. Naturgemäß ist dies ein rückblickender Vorgang. Dabei ist die Frage, was als Nächstes passiert, doch viel spannender.
Und wie lässt sich der journalistische Blick von der Vergangenheit in die Zukunft lenken? Indem sich Journalisten mit den Gedanken jener Menschen beschäftigen, die berufsbedingt in die Zukunft blicken müssen. Das sind zum Beispiel die Kapitalmarktanalysten und Chefstrategen von Großbanken, Hedgefonds und Vermögensverwaltern. Diese basieren ihre Investmententscheidungen auf Prognosen, die sie mit Daten zu untermauern versuchen. Häufig verbreiten sie diese auf ihren Social-Media-Kanälen wie Twitter, wo dann sehr interessante Diskussionen entstehen.
Tipp 6: Beschäftige Dich mit der BörseDie Börse preist heute Dinge ein, die in den kommenden sechs bis zwölf Monaten geschehen könnten. Sie ist somit ein eigenständiger Frühindikator und Interpret der Zukunft. Daher ist es für Deine Einschätzung bestimmter Entwicklungen unerlässlich, dass Du zumindest eine grobe Idee davon hast, warum die Börse gerade so reagiert, wie sie reagiert. In der Vergangenheit hätte dies zu einer deutlichen Verbesserung der Einschätzung politischer und wirtschaftlicher Situationen geführt. Zum Beispiel waren sich politische Kommentatoren im Winter 2021/22 relativ sicher, dass Russland die Ukraine nicht überfallen wird. Marktanalysten hingegen zeigten sich skeptischer – und verwiesen dabei häufig auf die massiv steigenden Preise von Aktien und Terminkontrakten im Energiesektor. In der zweiten Hälfte des Jahres 2021 wuchs hier das Gefühl, dass etwas im Busch war, was sich nicht bloß durch die Wiedereröffnung der Weltwirtschaft nach den Corona-Lockdowns erklären ließ.
Ähnlich verhielt es sich mit der Inflation: Als alle Welt noch den Chipmangel und seine Folgen für die westlichen Volkswirtschaften diskutierte, brachen nicht nur die Werte im Halbleiterbereich, sondern auch die Reedereien massiv ein. Warum? Weil sich die Lagerbestände mittlerweile stark erhöht hatten und gleichzeitig die Frachtraten für Containerschiffe im Sinkflug waren. Die Einschätzung der Marktteilnehmer war, dass künftig nicht mehr mit Engpässen (inflationstreibend), sondern mit Preiskämpfen (disinflationär) zu rechnen sein würde.
Als Faustregel gilt: Wenn Neuigkeiten in einem Bereich kaum mehr für Kursreaktionen sorgen, ist das Thema aus wirtschaftlicher Sicht im Groben und Ganzen durch. So verhielt es sich im Jahr 2022 zum Beispiel mit der Corona-Pandemie, die die Märkte nur noch aufgrund der chinesischen No-Covid-Politik bewegte. Zwar liefert die Börse immer nur einen partiellen Blick auf die Welt. Doch sie gibt oft ein zuverlässiges Bild darüber, wohin die Reise in den kommenden Monaten geht – auch wenn man Vorsicht walten lassen muss und dieses Bild nicht zu simplizistisch interpretieren darf.
Tipp 7: Verlasse die journalistische Filterblase und nutze die sozialen MedienAls regionaler Wirtschaftsjournalist brauchst Du Thesen, Themen und Gesprächspartner, die sich vom „Mainstream“ unterscheiden. Schließlich willst Du kreatives und anregendes Lesematerial erstellen und mit Deinen Texten für Überraschungen sorgen. Wenn Du Dich auf der Suche nach Inspiration aber nur innerhalb der journalistischen Filterblase bewegst, könnte Deine intellektuelle Flexibilität leiden.
Für die Stimulation der eigenen Kreativität lassen sich die sozialen Medien, und hier vor allem Youtube, hervorragend nutzen. In den vergangenen Jahren sind auf Youtube zahlreiche ausgezeichnete Wirtschaftskanäle entstanden, die sich tagesaktuell mit den wichtigsten Entwicklungen in Weltwirtschaft, Geopolitik, Börse, Technologien, Zukunftstrends oder der Vermögensbildung auseinandersetzen. Von Börsenlegenden wie Markus Koch, Hans A. Bernecker oder Markus Elsässer über die einschlägigen Magazine und Portale bis hin zu jungen Wirtschaftswissenschaftlern oder „Finfluencern“: In der Welt der Wirtschaft gibt es auf Youtube unzählige fantastische Formate, die für den plattformtypischen Kampf um Aufmerksamkeit in Form von Populismus und übertriebener Zuspitzung entschädigen.
Auf welche Inhalte Du Dich fokussierst, bleibt ganz Dir überlassen. Persönlich ist es gerade der breitere Meinungskorridor, der mich anspricht und mir immer wieder neue Ideen schenkt. Deshalb sehe ich mir oft auch Videos mit Inhalten an, die sich nicht mit meinen Meinungen decken. Seien es Anarcho-Liberale, Kommunisten, Crash-Propheten oder Bitcoin-Maximalisten: Keine Weltsicht ist zu abstrus, um nicht doch irgendetwas Interessantes oder Spannendes zu Tage zu fördern. Wie weit ich anschließend gehe, um mich mit diesen Haltungen journalistisch auseinanderzusetzen, entscheide ich individuell.
Im dritten und letzten Teil dieser Serie wollen wir den Bogen zurück zum Anfang spannen: Wie können sich Wirtschaftsjournalisten im Regionalen am besten organisieren, um dem allgegenwärtigen Zeitdruck Herr zu werden? Und warum sollten Sie überhaupt im Regionalen bleiben, wenn doch die Überregionalen oder einschlägige Zeitungen, Sender oder Magazine vermeintlich bessere Arbeitsbedingungen bieten?
Den vollständigen Beitrag von Carsten Korfmacher lesen Sie in "
Wirtschaftsjournalist:in".