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News / Horst von Buttlar schreibt über den Klimawandel
Horst von Buttlar ist sich sicher, Nachhaltigkeit wird das Megathema. (Bild:Gene Glove))
17.01.2023   Aktuelles
Horst von Buttlar schreibt über den Klimawandel
Wie schafft ein vielbeschäftigter Mann wie Horst von Buttlar es, noch ein Buch zu schreiben? Im Gespräch mit Roland Karle bekennt der künftige "Wirtschaftswoche"-Chefredakteur, was ihn an der "täglichen Apokalypse" nervt. Der Titel des Buches: "Das grüne Jahrzehnt".
Herr von Buttlar, Sie sind Chefredakteur von „Capital“, ntv und von Wirtschaft und Wissen bei RTL News. Sie leiteten bis zum Frühjahr die Berliner Hauptstadtbüros für „Capital“, „Business Punk“ und den „Stern“. Sie moderieren den Podcast „Die Stunde Null“. Sie haben eine Frau und drei Söhne. Wann, um Himmels willen, hatten Sie denn noch die Zeit, ein Buch zu schreiben?
Horst v. Buttlar: Es gingen viele Urlaubstage, Wochen­enden und Abende drauf. Ich kann ein Glück sehr gut auf den Punkt und in Intervallen schreiben, und bin oft um 5 Uhr aufgestanden. Aber es war ein heißer Ritt. Meine Familie ist froh, dass das Buch gedruckt ist.
 
Es gibt schon eine Vielzahl von Büchern zur Nachhaltigkeit, Klimawandel, der grünen Wende und dem Umbau der Ökonomie. Was interessierte Sie an dem Thema?
Es ist das Megathema für die Wirtschaft für die kommenden Jahre, das, was in den Zehnerjahren die Digitalisierung war. Die meisten Bücher über den Klimawandel beschäftigen sich mit Klimaszenarien oder kommen aus der „Degrowth“-Ecke. Ich wollte ein Buch schreiben, das erstmals in den Maschinenraum der Wirtschaft schaut – weil viel mehr passiert, als wir glauben.
 
Ich habe bei meinen Reisen zu Unternehmen in den vergangenen Jahren gemerkt, dass das Thema Nachhaltigkeit immer mehr Raum einnahm, in vielen Firmen Teil der Strategie wurde. Und ich beobachtete das, was ich in dem Buch die „grüne Gründerzeit“ nenne: Es gibt immer mehr Start-ups, die erfolgreich Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel suchen.
 
Sie erzählen die Geschichte des „Grünen Jahrzehnts“ entlang von Firmen und Menschen dort. Warum genau diese Firmen und Menschen – wie kam es zu dieser Auswahl?
Die Auswahl ist exemplarisch, zum einen für die großen Emissionen und Hebel, die wir haben, CO2 zu senken: also Stahl, Zement, Chemie. Daneben ging es mir darum, die Transformation von Schlüsselindustrien zu beleuchten, sprich die Autobranche und der Maschinenbau. Wenn man einmal das Problem des Zements verstanden hat, ist es egal, ob man über Holcim oder HeidelbergCement schreibt. Außerdem wollte ich, dass die Leserinnen und Leser am Ende jedes Problem mit einem Beispiel, einem Menschen verbinden: Ach, das ist doch der Typ, der Straßenlaternen zu Ladesäulen umrüstet.
 
Viele dieser Konzerne, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, sind als große und kleine Umweltsünder auffällig geworden. Haben Sie keine Sorge, sich als Steigbügelhalter für deren Greenwashing anzudienen?
Nein, wieso? Wenn Sie es so betrachten, sind wir alle Umweltsünder. Wir alle haben diesen Stahl und Zement verbaut und genutzt und dafür über 150 Jahre fossile Brennstoffe verbrannt. Es geht mir nicht um den Blick zurück, sondern um den nach vorn: Wie gelingt nun die Transformation der Stahlbranche? Oder der Zementindustrie? Und ich beschreibe alle Hürden und Haken, auch die Illusionen – auch das Green­washing. Diese Konzerne wandeln sich auch aus Eigeninteresse – um ihre Geschäfts­modelle zu retten.
 
Ich glaube zudem, dass kein Unternehmen, das im Lichte der Öffentlichkeit steht, mit Greenwashing durchkommen wird. Viel problematischer halte ich übrigens die neue „Schattenwirtschaft“: dass Emissionen aus Bilanzen der westlichen Konzerne durch Verkäufe verschwinden, die Mine oder das Ölfeld aber weiter läuft.
 
Sie erwähnen, dass Sie beim Schreiben oft der Glaube verlassen habe, dass die Menschheit wirklich genügend CO2 reduzieren könnte, um die Klimaziele noch einigermaßen zu erreichen. Dann wiederum trafen Sie Menschen mit so viel Energie und fantastischen Ideen, dass Sie dachten: All diese Probleme sind lösbar. Warum sind Sie sich da so sicher?
Sicher bin ich mir überhaupt nicht. Der Grat zu deutlicher unter zwei Grad Erderwärmung ist verdammt schmal. Aber mich nervt die tägliche Apokalypse – ich erlebe viel Aufbruch, treffe Menschen, die an Lösungen arbeiten. Nur zu klagen, dass die Welt untergeht, reicht mir nicht. Überdies sagen auch Wissenschaftler, dass die Herausforderungen bis 2030 lösbar sind: Wir brauchen keinen Zaubertrank, keinen Daniel Düsentrieb.
 
Die Erfindungen sind gemacht: Solar, Wind, Ladesäulen, Dämmstoffe. Es geht nur darum, dass wir den Ausbau hochfahren müssen, das wir skalieren, und zwar gewaltig. Wir stehen vor einem der größten Investitionsprogramme in der Geschichte der Menschheit. Danach benötigen wir allerdings technologische Durchbrüche, beim Wasserstoff, bei CO2-Abscheidung, eigentlich auch bei der Kernfusion.
 
Die neuesten Forschungen von Wissenschaftlern besagen, dass wir das Ziel 1,5 Grad wärmeres Weltklima nicht schaffen werden. Die Rede ist inzwischen vom zwei und drei Grad – mit unüberseh­baren Folgen für die Menschheit mit Kriegen, Hitzewellen, Dürren, Hurrikanen, Hochwassern und steigenden Meerespegeln, die Metropolen überschwemmen werden.

Natürlich beschäftigt und bedrückt mich diese Ballung von Krisen, die sich teils überlagern und verknoten, genauso. Wir haben inzwischen fast jedes Jahr eine Jahrhundertkrise. Die Pandemie aber hat doch gezeigt – ich nenne mit dem „Projekt Lightspeed“ die Suche nach dem Impfstoff ja auch als Vorbild in dem Buch –, dass wir in der Lage sind, gewaltige Kräfte zu mobilisieren. Unsere Probleme sind groß, ja, aber die Fähigkeit des Menschen, sie zu lösen, auch.
 
Man hat den Eindruck, Sie suchen eine Aussöhnung von Ökonomie und Ökologie. Doch ist die denn überhaupt möglich?
Ich suche keine Aussöhnung, ich schaue nüchtern auf ein Problem: 37 Gigatonnen CO2 müssen bis 2050 auf null. Was sind die größten Hebel und besten Strategien und Technologien? Wovon kann man lernen? Der Umbau zur Klimaneutralität ist für die Wirtschaft wie ein neues Betriebssystem. Der Konflikt zur Natur ist immer da.
 
Aber es ist ein Denkfehler, zu glauben, dass „die Wirtschaft“ dafür verantwortlich ist. „Die Wirtschaft“ sind wir doch alle! In Deutschland sind die Thesen so populär, dass wir uns gesundschrumpfen, alles runterfahren. Quasi die Rückkehr ins Paradies. Diese Vorstellung halte ich für hoffnungslos romantisch. Uns muss eines klar sein: Das Wachstum kommt bis 2030 aus anderen Regionen, allein in Asien streben eine Milliarde Menschen zusätzlich in die Mittelschicht. Hunderte Millionen Menschen müssen raus aus der Armut. Dafür braucht es: Wachstum.

Ökonomie und Ökologie stehen sich jedoch diametral gegenüber. Um diesen fatalen Mechanismus zu ändern und die drohende ökologische Katastrophe aufzuhalten, müsste der Mensch seinen destruktiven Grundcharakter ändern. Oder anders gesagt: Er müsste aufhören, sich die Erde Untertan zu machen.
Sie haben recht. Der Mensch verbraucht zu viele Ressourcen und zerstört die Grund­lage seiner Existenz. Bloß wie wollen Sie das politisch durchsetzen: „aufhören, sich die Erde Untertan zu machen“. Das Thema, das sie ansprechen, geht ja über CO2 und Klimawandel hinaus. Ich konzentriere mich auf das Emissionsproblem – außerdem schauen wir zu oft nur auf die Kosten für Klimaschutz. Das alles sind ja Investitionen, die neues Wachstum und neue Jobs bringen.
 
Ist weniger nicht mehr? Kein Wachstum mehr, sondern Rückbau oder bestenfalls das Bewahren des Status quo.
Was meinen Sie mit Rückbau – also Fabriken? Okay, und was machen wir dann hier im Land? Ich weiß, dass diese Thesen in Deutschland populär sind. Eine Kollegin empfiehlt in ihrem Buch, die britische Kriegswirtschaft von 1940 als Vorbild. Eine ökologische Planwirtschaft, eine Art „Klima-DDR“. Da denke ich: Im Ernst? Wie viele Länder machen mit? Und selbst wenn wir so etwas einführen würden, würde eine Regierung doch nach vier Jahren abgewählt. Ich kann bei solchen Dystopien nur den Kopf schütteln. Aber: In allen relevanten Studien und Szenarien sind Verhaltensanpassungen vorgesehen. Ja, wir müssen weniger fliegen und Fleisch essen. Aber mit einer täglichen Verzichtspredigt werden wir scheitern, die Produkte müssen gut sein.
 
Wie kann so eine Ökonomie in einer grünen Zukunft Ihrer Ansicht nach aussehen?
Im besten Fall erreichen wir in den kommenden Jahrzehnten eine Wirtschaft, die überwiegend mit regenerativen Energien läuft, in der Energieknappheit und hohe Energiepreise ein Thema der Vergangenheit sind. Wir haben mehr zirkuläre Modelle und Kreisläufe, saubere Luft – die täg­liche Mobilität ist elektrisch. Wir werden noch Öl und Gas brauchen, aber keine Kohle mehr. Mir ist aber klar, dass dieses Szenario schwer zu erreichen sein wird. Wir sollten halt versuchen, so viel wie möglich zu erreichen.
 
Wird am Ende alles gut – oder es ist nicht das Ende, wie ­Oscar Wilde sagte? Gilt das auch für die Menschheit?
Ich antworte frei nach Mark Twain: Das Ende der Menschheit ist stark übertrieben.


Diese Buchbesprechung lesen Sie im Magazin "Wirtschaftsjournalist:in".