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News / Hans-Jürgen Jakobs: Wirtschaftsjournalismus ist ein Kunsthandwerk
Für Hans-Jürgen Jakobs ist Wirtschaftsjournalismus eine hohe Kunst. (Foto: Beer)
08.01.2023   Aktuelles
Hans-Jürgen Jakobs: Wirtschaftsjournalismus ist ein Kunsthandwerk
Als renommierter Wirtschaftsjournalist schaut Hans-Jürgen Jakobs noch einmal kritisch auf die eigene Branche. Der 66-Jährige hatte für den "Spiegel", die "Süddeutsche Zeitung" und das "Handelsblatt gearbeitet.

"Reden wir über Wirtschaftsjournalismus, reden wir auch über Moral – oder besser das Selbstverständnis einer Branche. Eine kleine Beobachtung: Als ich neulich in einer Diskussion mit Unternehmern und ihren Public-Relations-Experten dazu riet, auf keinen Fall „gebaute Interviews“ an Redaktionen zu schicken, das sei ja entwürdigend, war die Antwort, dass genau dies öfter geschähe. Manchmal bekäme man aus Redaktionen auch Gesprächs-Wiedergaben zur Autorisierung zurück, die offensichtlich per KI vom iPhone transkribiert worden seien – und nun vom Interviewten zu verschönern, also in Form zu bringen seien.


 


Befragt man umgekehrt Redakteurinnen und Redakteure zu solchen Fällen, dann ist zu hören, wie oft Gesprächspartner die vorgelegten authentischen Interview-Texte einfach komplett umschrieben, inklusive der Fragen, die dann auch noch passend gemacht würden. So was hat sich in der Politik früher nur ­Oskar Lafontaine getraut, und wir haben es beim „Spiegel“ nicht gedruckt.


 


Die Pressefreiheit ist heilig, damit auch die Unabhängigkeit von Wirtschaftsredaktionen, schließlich hängt daran ihre Glaubwürdigkeit, das ist ihr wahres Kapital – aber offenbar sind ein paar Dinge im „Ökosystem Wirtschaftsjournalismus“ in Schieflage geraten. Das liegt selbstverständlich auch daran, dass ihm weniger Geld zur Verfügung steht, aufgrund eingebrochener Werbeerlöse und neu zu gewinnender Vertriebseinnahmen.


 


Nicht die Digitalisierung per se ist schuld an den Kalamitäten, sondern zum einen die historisch erratische Reaktion der Verleger auf das World Wide Web (pendelnd zwischen Gratiskultur und Pay Wall) sowie zum anderen die globale Eroberung des Werbegeschäfts durch gerade mal drei amerikanische Datenmonopolisten, Google, Facebook und Amazon.


 


Wie auch immer: Es kann am Ende nicht sein, dass einer wachsenden Menge von Spezialistinnen und Spezialisten der PR-Kunst eine weiter schrumpfende Anzahl von Mitarbeitenden in Redaktionen gegenübersteht. Finanzen und Fantasie müssen ins System.


 


Die Versuchsanordnungen ähneln zuweilen Konzepten, die Frederick Winslow Taylor und Henry Ford zur Blütezeit des Industriekapitalismus zwecks besserer Rationalisierung entworfen haben. Zum verworrensten Modell wurde die „Integration“ des einstigen Vorzeigeverlags Gruner + Jahr in den Privatfernsehsender RTL Deutschland, was ein gemeinsames Hauptstadtbüro des Magazins „Stern“ und der Wirtschaftstitel „Capital“ und „Business Punk“ einschließt. Die Frage nach der Zukunft der Zeitschriften ist mit solchem „Fordismus“ gleichwohl nicht beantwortet.


 


Denn bei aller publizistischen Op­timierung – wenige leisten immer mehr auf immer neuen Ausspielflächen – stellen sich zwei grundlegende Fragen, denen man gerne ausweicht: Um welche Inhalte geht es eigentlich? Und: Wie dringen diese Stoffe in der neuen Vielstimmigkeit am Ende auch durch?


 


Schon der legendäre Publizist und „Capital“-Philosoph Johannes Gross (1932 bis 1999) beklagte eine zu fromme Gangart vieler Wirtschaftsjournalisten, von denen es manche womöglich als Höhepunkt der Karriere ansehen, Pressesprecher in just jenem Unternehmen zu werden, über das sie viele Jahre berichtet haben. Nähe zu Personen mag helfen, aber nur bei Distanz zur Sache.


 


Der begnadete Aphoristiker Gross sah im Computerzeitalter einen großen Verlust an Mündlichkeit voraus und erklärte: „Wer nicht gut lesen und schreiben kann, ist ausgeschlossen.“ Diese Erkenntnis gilt unter den Bedingungen des digital ausgesteuerten Journalismus erst recht für all jene, die jetzt „Content“ erstellen.


 


Über allen Fragen der „Kanalsteuerung“, der Feinabstimmung moderner Medienmaschinen mit ihren fragmentierten Publikumskreisen, steht doch immer am Anfang die Selbstbefragung: Was macht den eigenen Inhalt unterscheidbar und wertvoll? Welchen neuen Dreh geben wir einer Wirtschaftsgeschichte? Wo ist der richtige Kontext, wo liegen die tieferen Zusammenhänge? 


 


Die richtigen Antworten darauf wird nur jemand geben können, der eben viel liest und viel gelesen hat, der aus der Ressource Bildung mehr schöpft als aus dem Wissen über Algorithmen und Software-Tools. Um sich zu fokussieren, zu verengen, muss man vorher breit denken.


 


Aber auch jene Redaktionen sind von Vorteil, die genügend investigative Reporter in ihren Reihen haben, die Geschichten nachgehen, deren Veröffentlichung die Betroffenen lieber verhindern wollen. Auch dafür gibt es Wirtschaftsjournalismus: eine kritische Öffentlichkeit herstellen, damit Missstände entdeckt und abgestellt werden können. Man muss also nicht nur Newsdesks gut besetzen und digitalen Support organisieren, sondern sich Raum für Denker und Merker gönnen, Kapazitäten fürs Reflektieren und Recherchieren.   


 


Womit wir beim zweiten Punkt wären, relevante Texte in der veränderten Kommunikationswelt auch tatsächlich zur Geltung zu bringen. Dafür wird man Menschen brauchen, die schreiben können in einer Art, die sich maximal weit entfernt von jenen Texten, die KI im Sport oder in der Börsenberichterstattung billigst zustande bringt.


 


Guter Wirtschaftsjournalismus ist Kunsthandwerk in ökonomischen Fragen. Er besteht selbstverständlich aus Anlagetipps und Karriereberatung, die erfahrungsgemäß gute Reichweiten bringen. Er besteht aber auch aus dem ­Momentum der Überraschung, eigene Themen und Themendeutungen einzubringen. Nichts gegen Mainstream, aber Wirtschaftsjournalismus muss durch neue Kurven fließen.


 


Konkret wird es etwa darum gehen, in Social Media über geeignete Partnerschaften und Netzwerke die Botschaften möglichst breit zu verteilen. Vertrieb ist Networking. Oder es ist vordringlich, Communities aufzubauen für wirtschaftliche Themenkreise, mit kompetenten, kommunikativen Journalistinnen und Journalisten als Galionsfiguren. Neuen Netzangeboten wie „Finanz-Szene.de“ gelingt dies vorbildlich.


 


Und schließlich bräuchte die Wirtschaftsbranche im Internet einen großen News-Aggregator für ihre besten Qualitätsstücke, ein „Best-of“ im Abonnement, aber das ist nur ein schöner Traum, der schon oft geträumt wurde. Eines weiß ich: „Gebaute Interviews“ haben dabei nichts verloren."


Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Wirtschaftsjournalst:in".