Damit hatte keiner gerechnet. Beat Balzli legt seine Chefredaktion überraschend nieder. Ohne Angaben von Gründen. Da keiner der Beteiligten sagen will, was eigentlich Sache ist, gärt die Gerüchteküche. Wolfgang Messner hat den Deckel angehoben.
So cool muss einer erst mal drauf sein. Aber dafür muss man wohl geboren sein – als ein auf Effizienz gepolter Schweizer, der sich die unterkühlten Banker, Fintechniker und all die anderen angeblichen Masters des Universiums zum Vorbild auserkoren hat. Sonst bekommt man so einen Abgang nicht hin. Beat Balzli, seit April 2017 Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“, ist so einer.
Am Montag, 12. Dezember 2022, leitet Balzli die Morgenkonferenz um 9.15 Uhr. Wobei Konferenz ein großes Wort ist. Denn meistens hält Chefredakteur Balzli im Stil des großen Vorsitzenden einen seiner üblichen Monologe und ergießt dabei seine Lesefrüchte des Wochenendes über die Runde. Zugleich vergibt er Rechercheaufträge, die eigentlich Aufträge für Beiträge sind. Deren Fertigstellung erwartet er wenn irgendmöglich bis zum Redaktionsschluss. Keine Frage: Balzli fordert seine Mannschaft – manchmal mehr, als ihr gut tut.
„Alles war ganz normal, so wie immer eigentlich“, erzählt ein Teilnehmer. Als sich die Besprechung dem Ende zuneigt, lässt Balzli die Bombe platzen. Es gebe da „noch eine Nachricht“ – nämlich eine in eigener Sache. Er werde die Chefredaktion nach sechs Jahren niederlegen. Diese Botschaft lässt die Redaktion zusammenzucken und konsterniert zurück. „Manche waren regelrecht geschockt“, sagt ein Redaktionsmitglied.
Um 11 Uhr ist eine digitale Townhall-Konferenz angesetzt. Dort ist eine Personalie angekündigt. Jetzt erfährt die ganze Handelsblatt Media Group (HMG), um wen es da geht. Die „WiWo“ wird nach fast sechs Jahren wieder ihren Chefredakteur verlieren. Balzli wird bereits Ende Januar das Haus verlassen – „auf eigenen Wunsch“, wie er es bereits seiner Redaktion verkündet hat. Den Text wird er immer wiederholen. So wird er später auch in der Erklärung stehen, die die Handelsblatt Media Group verbreiten wird.
Balzli hält sich peinlich genau an den Wortlaut. Auch im Townhall Meeting trägt er ihn penibel genau vor. „Nach beinahe sechs intensiven Jahren an der Spitze der ,Wirtschaftswoche‘ ist es jetzt Zeit für eine neue Herausforderung und mehr Raum für die Familie“, lässt er wissen. Und weiter: „Zusammen mit einem großartigen Team durfte ich die ,WiWo‘ zu einem modernen und digitalen Wirtschaftsmedium weiterentwickeln. Ich danke der Redaktion und dem Verlag für die inspirierende Zusammenarbeit und dem Verleger Dieter von Holtzbrinck für sein langjähriges Vertrauen in mich“, schickt er noch hinterher. Danke, das war’s. Die Nachfolge Balzlis ist offenbar schon gefunden.
Zusammen mit Balzli saßen auch die HMG-Geschäftsführerin Andrea Wasmuth und Oliver Finsterwalder, der CEO der DvH Medien GmbH am Tisch. Finsterwalder ist also offensichtlich extra nach Düsseldorf angereist, was ungewöhnlich ist und auf eine wichtige Nachricht schließen lässt. Vor rund 350 zugeschalteten Mitarbeitern spricht er die üblichen lobenden Abschiedsworte auf den Schweizer: „Wir danken Beat Balzli herzlich für seine langjährige und mit hoher journalistischer Expertise vorgenommene Führung der ,Wirtschaftswoche‘.“ Die Nachfolge für Balzli sei bereits geregelt und solle spätestens bis zum 31. Januar 2023 bekanntgegeben werden.
Der Umstand, dass der Nachfolger bereits gefunden ist, deutet darauf hin, dass die Demission Balzlis sich schon länger angebahnt hat und bei der HMG-Geschäftsleitung hinterlegt gewesen sein dürfte. Innerhalb der „WiWo“-Redaktion kursiert das Gerücht, es werde nach Miriam Meckel (2014–2017), der Vorgängerin von Balzli, wieder eine Frau an die Spitze der „WiWo“ rücken. Andere halten das für ausgeschlossen, da man sich noch lebhaft an das Debakel erinnert, das Meckel angerichtet hat, das die Reputation und die Verkaufserlöse schneller als den DAX in der Finanzkrise hat fallen lassen.
Es gibt auch HMG-Quellen, die gehört haben wollen, dass ein Mann die Chefredaktion übernehmen soll. Einer, der Bücher über Innovationen geschrieben habe. Entsprechend gärt die Gerüchteküche. Von gut unterrichteten Kreisen wird der Name von Ulrich Schäfer, stellvertretender Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, genannt, der 2007 bis 2010 und noch einmal von 2013 bis 2019 zusammen mit Marc Beise die Wirtschaftsredaktion geleitet hatte. Später war er Nachrichtenchef und leitete den Newsdesk.
Schäfer gilt „SZ“-intern als hochveranlagt. Es werden ihm auch Ambitionen auf einen Chefposten nachgesagt. Allerdings heißt es, werde er wohl kaum eine Chance haben, Wolfgang Krach als SZ-Chefredakteur zu beerben. Dafür gilt Nicolas Richter, seit Oktober erst zum Chef der Hauptstadtredaktion in Berlin ernannt, als klarer Favorit.
Wiederum andere Quellen wollen erfahren haben, dass für den Posten einer stellvertretenden Chefredakteurin eine junge Frau ausersehen sein soll. Vonseiten der HMG-Pressestelle kommt ein hartes Dementi. Die „Vermutungen bezüglich der Nachfolge von Herrn Balzli“ seien „allesamt falsch“. Die Nachfolge sei bereits geregelt. „Aus Gründen der Vertraulichkeit können wir sie jedoch aktuell noch nicht kommunizieren“, teilt die Pressestelle weiter mit.
Balzli lässt der Redaktion Wirtschaftsjournalist:in ausrichten, er werde „zu gegebener Zeit über seine berufliche Zukunft informieren“. Weiter äußern will er sich nicht. Nur dass er sich ins Private zurückziehen wolle, dementiert Balzli. Der 56-Jährige ist verheiratet und Vater eines dreijährigen Sohnes. Ansonsten gibt er sich in eigener Sache so verschlossen wie ein Banktresor in der Züricher Bahnhofstraße. Fragen solle man doch bitte an die HMG-Kommunikation richten, doch die schweigt sich dazu aus. Balzlis Abgang ist ein großes Rätsel. Die halbe Branche fragt sich, warum er überhaupt Düsseldorf verlässt.
Denn Balzlis Zahlen können sich sehen lassen. Das unter seiner Vorgängerin Meckel herunter gewirtschaftete Magazin hat er wieder in den Kanon der ernst zu nehmenden Wirtschaftsmedien geführt. Nach der Rosskur unter Balzli ist die „WiWo“ aber nicht nur journalistisch wieder aufgeblüht, auch die Zahlen sehen gut aus. Sowohl im Werbe- als auch im Lesermarkt liest sich Balzlis Bilanz recht erfreulich. Wer als Chefredakteur solche Zahlen vorlegen kann, der wird in aller Regel gefeiert und nicht gefeuert. So einer aber geht auch nicht freiwillig – außer er hat ein sehr gutes und hoch interessantes Angebot von der Konkurrenz vorliegen.
Jobs, die infrage kommen könnten, aber sind derzeit rar. Vakant ist gegenwärtig nur die Stelle des „Focus“-Chefredakteurs. Dann hört man noch, dass in der Schweiz Tamediachef Pietro Supino einen Chefredakteur sucht. Supino steht auf Leute, die das „Spiegel“-Gen in sich tragen. Ob das Jobs für Balzli wären? Möglich ist es.
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