Please wait...
News / Joe Miller von "Financial Times" schaut kritisch auf deutsche Medien und PR
Kritischer Blick von außen: Joe Miller war Korrespondent der "Financial Times" in Deutschlan
12.12.2022   Aktuelles
Joe Miller von "Financial Times" schaut kritisch auf deutsche Medien und PR
Joe Miller war für die „Financial Times“ drei Jahre lang Korrespondent in Frankfurt. Im Interview mit Roland Karle spricht er darüber, warum er regionale Zeitungen und Fachmedien bervorzugt und PR-Leute zu wenig aktiv findet.
 


Joe, Sie waren drei Jahre als „FT“-Korrespondent in Frankfurt und haben sich auch als investigativer Journalist einen Namen gemacht. Was war Ihre bislang härteste Recherche?
Joe Miller: Das war sicher die Arbeit an den Paradise-Papers, an der ich als Journalist der BBC im International Consortium of Investigative Journalists mitgewirkt habe. Mehr als 13 Millionen Dokumente zu Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption im großen Stil konnten durch ein Daten-Leak eingesehen und ausgewertet werden. In einem Verbund von 380 Journalisten aus 67 Ländern wurden tausende Artikel, Radio- und Fernsehbeiträge publiziert. Eine grandiose Teamleistung und eine tolle Erfahrung.
 
Welche Erkenntnis haben Sie für sich daraus gezogen?
Obwohl ich an einigen Enthüllungen mitgearbeitet habe, war ich nie in erster Linie ein investigativer Journalist. Ich habe großen Respekt vor meinen Kollegen, die monatelang an sehr wichtigen Untersuchungen arbeiten. Es kann demoralisierend sein, wenn die Aufregung nach dem ersten großen Aufschlag und lauten Reaktionen recht bald wieder legt. Die Menschen gehen erstaunlich gelassen mit Skandalen um. Die Empörung und der öffentliche Aufschrei, dass sich etwas ändert, halten selten lange an. Bei einem Thema wie Finanzen und Steuern erst recht nicht.
 
Gibt es eine „typisch deutsche Art“, wie sich PR-Leute verhalten?
Es gibt einen Unterschied, der mir zur PR in vielen anderen Teilen der Welt aufgefallen ist: Deutsche Öffentlichkeitsarbeiter agieren eher reaktiv, sind insgesamt zurückhaltender, bieten punktuell Themen und Storys an. Wenn ich zum Beispiel über eine Branche, einen Markt oder wirtschaftspolitische Entwicklungen schreibe und um eine Einschätzung des CEO bitte, kann das kompliziert werden. PR-Leute in Deutschland denken oft zuerst darüber nach, ob ihnen das etwas fürs Unternehmen bringt oder vielleicht sogar schaden könnte. In anderen Ländern ist das Verständnis von Geben und Nehmen ausgeprägter.
 
Was wünschen Sie sich konkret?
Offenheit. Gerade auch in Hintergrundgesprächen. Wissen Sie, es gibt gute und schlechte Zeiten, und je besser Journalisten ein Unternehmen kennt und seine führenden Köpfe versteht, desto treffender kann er Ereignisse einordnen und Entwicklungen beschreiben. Der Austausch in Vier-Augen-Gesprächen nützt mir langfristig mehr als ein singulärer O-Ton – und das gilt auch für den Unternehmer, CEO, Manager.
 
Was macht für Sie einen guten Unternehmenssprecher aus?
Wenn ich das aus der Perspektive des „FT“-Korrespondenten sehe, finde ich natürlich die PR-Leute super, die verstehen, welche Art von Geschichten für die „Financial Times“ wichtig sind und dort veröffentlicht werden. Dazu muss man nur unsere Zeitung lesen, dann wird das für einen Profi schnell ersichtlich.
 
Und, tun sie das?
Erstaunlich oft, nein. Ich höre manche PR-Leute sagen: „Ah, ich habe Ihre Geschichte über XY gelesen“, aber tatsächlich habe ich weder darüber geschrieben noch ist es mein Themenfeld bei der „FT“. Eine schnelle Google-Recherche würde genügen, um das herauszufinden. Von daher gebe ich Gespräch lieber einmal mehr Auskunft, welche Themen für mich interessant und wie „FT“-Storys gestrickt sind.
 
Wie gut ist nach Ihrer Wahrnehmung die Reputation der „FT“ in Deutschland?
Unter Kommunikationsleuten gibt es so manche, die die „FT“ nicht besonders mögen. Aber ich habe gemerkt, dass die „FT“ insgesamt an Ansehen und Vertrauen gewonnen hat, vor allem durch die Aufdeckung des Wirecard-Skandals.
 
Wie sehen Sie als internationaler Journalist die Perspektiven Deutschlands?
Die deutsche Industrie war und ist unglaublich stark, auch gekoppelt mit den sozialdemokratischen Strukturen, die ich zum Teil durchaus bewundere. Das ist ein Teil der deutschen Erfolgsgeschichte. Aber mir fällt auf, dass sich eine große Selbstgefälligkeit breit gemacht hat, sowohl bei Politikern als auch Wirtschaftsmanagern und Investoren. Sie zeigt sich zum Beispiel darin, dass in vielen Bereichen der unbedingte Wille fehlt, Innovationen um- und durchzusetzen. Es ist ein Alarmzeichen, dass so viele große Talente das Land verlassen.
 
Welche deutschen Medien waren für Ihre Arbeit wichtig als Referenzpunkt und Informationsquelle?
Ich finde, dass die Kollegen in Deutschland einen richtig guten Job machen. Aber ehrlich gesagt, spielen die deutschen Medien zur Orientierung keine große Rolle für meine Arbeit. Als Korrespondent habe ich die Brille desjenigen auf, der zum Beispiel an der Westküste der USA, in Hongkong oder an irgendeinem anderen Ort der Welt die „FT“ liest und von dort auf Germany blickt. Ich starte auch deshalb nicht mit der Lektüre deutscher Medien in den Tag, um keinen falschen Fokus zu bekommen. Ich überfliege morgens die von unserem Office erstellte Zusammenfassung mit den wichtigsten Zeitungsbeiträgen, checke meine eigenen Quellen, lese „Manager Magazin“ und andere deutsche Business-Magazine. Die für meinen Job nützlichsten Quellen sind jedoch regionale und lokale Medien.
 
Aha.
Ja, die lese ich sehr aufmerksam, zum Beispiel Titel wie „Rheinische Post“, „Passauer Neuste Nachrichten“ oder „Rheinpfalz“. Sie bieten tieferen Einblick in die mittelständische Wirtschaft und ins lokale Geschehen. Dort passieren spannende Dinge. Ich habe etwa in der „Rheinpfalz“ das erste Mal über diese „Wärmehallen“ gelesen, die in Deutschland wegen des Energiemangels für Herbst und Winter in Kommunen errichtet werden. Übrigens lese ich auch viele Fachmedien, beispielsweise die „Deutsche Handwerkszeitung“. Dort wird über Themen berichtet, die in den nationalen Medien nicht vorkommen, aber nützlich für meine Arbeit sind. Die Qualität der regionalen Zeitungen und der Fachmedien finde ich erstaunlich hoch.
 
Wenn Sie wählen dürften: Für welche Redaktion in Deutschland würden Sie am liebsten arbeiten?
Wahrscheinlich würde ich mich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder eine Nachrichtenagentur wie dpa entscheiden. Ich habe sieben Jahre bei der BBC gearbeitet, das Blut fließt noch in meinen Adern. Gerade bei großen, investigativen Geschichten spüren Journalisten in solchen Organisationen weniger Druck und können sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren.
 
Was war Ihre wichtigste Geschichte, die Sie in den drei Jahren hierzulande für die „FT“ recherchiert und geschrieben haben?
Das war definitiv die Berichterstattung über Biontech.
 
Joe, nach drei Jahren in Deutschland kennen Sie sich gut aus hier. Warum ziehen Sie jetzt weiter nach New York?
Es ist Usus, dass „FT“-Korrespondenten nach ein paar Jahren wechseln, und ich finde das für unsere Art der Berichterstattung gut, weil wir die Welt immer wieder mit frischem Blick betrachten wollen. Ich kann dazu ein Beispiel nennen: Seit ich in Deutschland bin, höre ich jedes Jahr, dass im Sommer der Rheinpegel zu niedrig ist. An die Meldung habe ich mich schon gewöhnt, aber dieses Jahr gab es dadurch wirklich größere Schwierigkeiten in der Schifffahrt und folglich in der Wirtschaft. Und ich kam fast zu spät mit der Geschichte, weil ich dachte: Okay, dieses Thema schon wieder, das kenne ich. Einem neuen Korrespondenten passiert das nicht.
 
Was werden Sie am meisten vermissen an Deutschland?
Die Lebensqualität. Ich glaube, sie wird nirgendwo auf der Welt besser sein. Ich habe hier Wald in der Stadt, kann in der City mit dem Rad fahren, die öffentliche Sicherheit ist hoch, Tennis kein Luxussport und das Leben trotz steigender Preise erschwinglicher als überall, wo ich bisher gelebt habe. Und ich werde es vermissen, in einem Land zu leben, das sich mehr um die Schwachen kümmert, als das irgendwo sonst der Fall ist. Das Problem vieler Deutscher ist, dass sie sich mit ihrem Nachbarn vergleichen – und nicht mit Menschen, die in den USA, Großbritannien oder sonstwo leben.


Den kompletten Beitrag finden Sie in der aktuellen Ausgabe der "Wirtschaftsjournalist:in".
 
Die wichtigsten News der Branche. Die aktuellsten Jobangebote. Jetzt Newsletter abonnieren.