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News / "Deutscher Wirtschaftsjournalismus ist zu zahm"
Vendeline von Bredow: Wir vom „Economist“ sind viel kritischer. Foto: Paula Winkler
02.12.2022   Aktuelles
"Deutscher Wirtschaftsjournalismus ist zu zahm"
Vendeline von Bredow beobachtet als Korrespondentin für den „Economist“ von Berlin aus die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Zuerst die Finanzkrise 2008. Dann 2020 die Coronakrise, die wir alle noch nicht richtig verdaut haben. Da driftet die Weltwirtschaft in eine Rezession, wie wir sie seit den 1970er-Jahren nicht mehr gesehen haben. Die Frage, die sich stellt: Ist der deutsche Wirtschaftsjournalismus gut genug aufgestellt, um alle Aspekte dieser Rezession zu verstehen und angemessen und qualitätvoll zu berichten? 


Frau von Bredow, ist der deutsche Wirtschaftsjournalismus fit für die Krise?
VENDELINE VON BREDOW: Ich denke schon. Es gibt hier sehr viele hochquali- fizierte Wirtschaftsjournalisten, die die Entwicklung genau verfolgen und dau- ernd mit den Unternehmen sprechen. Das ist insofern eine große Stärke und auch eine Sternstunde des deutschen Wirtschaftsjournalismus.


Die Finanzkrise aber hat der Großteil zumindest der deutschen Wirtschaftsmedien nicht kommen sehen – anders als der „Economist“, der damals immer wieder über die Immobilienblase in den USA berichtet hatte.
Die Finanzkrise war für viele deutsche Wirtschaftsjournalisten sehr fern und auch sehr abstrakt. Das waren hochkomplizierte Finanzprodukte und das Ganze spielte an der Wall Street. Aber diese Krise ist für Deutschland so nah – thematisch, aber auch räumlich. Deutschland ist das Zentrum dieser Energiekrise, die durch diesen Krieg ausgelöst worden ist.


Und? Sind wir schon mitten in der Krise oder stehen wir noch davor?
Wir stehen am Anfang der Krise, zumindest mal gefühlt, insbesondere, wenn man sich die Stimmung in der Bevölkerung vor Augen führt. Man merkt, die Tage werden kälter und die Leute nervöser. Woran erkennen wir, dass wir in der Krise sind? Sie müssen sich nur die Zahlen anschauen. Die technische Definition von einer Rezession lautet: Wenn in zwei Quartalen die Wirtschaft nicht wächst, sondern schrumpft, dann ist es so weit. Allerdings haben wir das noch nicht, zumindest technisch ist das noch nicht so. Aber sie finden weit und breit keinen Wirtschaftswissenschaftler, der glaubt, dass es keine Rezession in Deutschland und in ganz Europa geben wird.


Sind ja trübe Aussichten.
Ja, das sind trübe Aussichten, denn die deutsche Wirtschaft hat sich noch nicht von der Pandemie erholt. Es kann durchaus sein, dass wir noch eine vierte Welle diesen Winter bekommen, die hoffent- lich schwächer wird. Dazu kommen Engpässe bei Lieferketten, die Verteuerung von Rohstoffen. In Deutschland kommt noch der Mangel an Fachkräften und auch die demografische Entwicklung dazu. Bei den Kleinunternehmern und Mittelständlern ist wirklich Krisenstim- mung. Wenn Sie sich anschauen, was BDI-Chef Siegfried Russwurm zuletzt hat verlautbaren lassen, das ist sehr pes- simistisch und klingt alarmiert.
 
Wie hart wird uns diese Krise treffen?
Sie wird auf jeden Fall schlimmer als die Corona-Krise und als die Finanzkrise auch. Es muss aber nicht zum Äußersten kommen. Die Industrie hat schon ordent- lich Gas gespart – aber auch, weil nicht produziert wurde. Es ist auch erstaunlich, wie schnell sich die Gasspeicher gefüllt haben. Wie man schnell und gut reagiert hat. Wie hart es wird, kommt natürlich auch darauf an, wie hart der Winter wird. Das kann keiner richtig voraussagen.
 
Wie sollte der Wirtschaftsjournalismus auf die Krise reagieren?
Das sind die großen Themen: der Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf die Energiepreise. Ich habe gerade einen Artikel über die Verstaatlichung von Uniper geschrieben und in der Wo- che davor habe ich über eine andere Energiegeschichte geschrieben. Das dominiert jetzt alles. So wie vorher Corona alles bestimmt hat.
 
Wie blicken Sie als Deutsche, die in Großbritannien, den USA und Frankreich gelebt hat, überhaupt auf den deutschen Wirtschaftsjournalismus?
Die ganze Entwicklung dieser Krise wird in Deutschland so genau verfolgt, und auch so granular und detailliert berichtet, davon könnten sich angelsächsische Journalisten eine Scheibe abschneiden und sich mal durchlesen, was hier alles geschrieben wird. Worin unterscheidet sich die Bericht- erstattung des „Economist“ von Wettbewerbern? Was wir machen, ist immer „the big picture“, also das große Bild zu zeichnen. Die Hälfte unserer Leser ist in den USA. Es kann ein Bauer in Minnesota sein, dem ich das anschaulich berichten muss, was hier vor sich geht. Da kommt es mir vermutlich zu Hilfe, dass ich Deutsche bin und wir Deutschen sind ja sehr gründlich. Und auch deutsche Journalisten sind sehr gründlich. Die Gefahr ist jedoch, dass man den Blick für das Ganze und für die Analyse verliert. Aber bisher ist über alles, was schon passiert ist, sehr genau und akkurat berichtet worden.
 
Wir haben in Deutschland mit dem „Handelsblatt“ nur eine Finanz- und Wirtschaftszeitung, dann noch die „FAZ“ mit einem Wirtschaftsteil, der einen ähnlichen Anspruch formuliert, und die „Börsen-Zeitung“ für die Märkte. Dazu kommen die Magazine „WiWo“, „Manager Magazin“ und „Capital“. Aber in der Breite, in den Lokal- und Regionalzeitungen, sieht die Qualität doch eher mau aus. Ähnlich im TV und bei den Radios – wenn man vom DLF absieht.
Ich lese, was von der Spitze des deutschen Wirtschaftsjournalismus produziert wird. Also, was die Kollegen vom „Handelsblatt“, der „FAZ“ oder der „WiWo“ schreiben. Die Regionalzeitun- gen konzentrieren sich auf lokalere Themen. Aber das ist auch ihr Job. Deshalb halte ich das für unfair, zu sagen, die machen das nicht so toll.
 
Sehr freundlich. Doch ist der angelsächsische Blick auf die deutsche Wirtschaft nicht kritischer?
Was man schon sagen kann, ist, dass der deutsche Wirtschaftsjournalismus generell sehr zahm ist. Sowohl die Kollegen bei der „Financial Times“, beim „Wall Street Journal“ und auch wir vom „Economist“ sind doch noch sehr viel kritischer als die bei den deutschen Wirtschaftsmedien.
 
Das komplette Interview finden Sie in der aktuellen Ausgabe der "Wirtschaftsjournalist:in".
 
 
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